01. Mai 2022
Wir sind auf den Hund gekommen.
Seit drei Wochen bereichert Alma unser Leben und es ist… Eine Menge.
Ja, so ist es vermutlich passend ausgedrückt: Alles mit Alma ist eine ganze Menge. Angefangen mit der ganz praktischen Feststellung, dass dieser Hund eine ganze Menge Fleisch (und auch diverse andere Fressalien) verdrückt bis hin zu diesem Sturm an Emotionen der plötzlich tobt.
Alma kam zu uns, als wir bei einer Züchterin waren um uns für einen Welpen vormerken zu lassen. Wir hatten das richtig gut durchdacht: Dann kommt das Hundebaby, das bis dahin nur Liebe von Mama und Rudel erfahren hat, im Sommer zu uns. Wenn Marcel Urlaub hat und wir drei ganz intensiv zueinander finden können. Und bis dahin können wir alles vorbereiten: Den Hundeführerschein machen (ist in Niedersachsen Pflicht), ein Auto kaufen, den Garten hundesicher machen, noch 30 Folgen Rütter und Cesar Milan und so weiter gucken und uns allgemein bereit machen um ein Hundekind voller Liebe und guter Erfahrungen bei uns aufwachsen zu lassen.
War ein richtig guter Plan, oder?
1. kommt es anders und 2. als man denkt.
Nach zwei Minuten hatte Alma uns ausgesucht, da in Ramonas Küche als wir spätabends total platt bei ihr ankamen. Saß auf Marcels Fuß und himmelte ihn an mit einem Blick den ich allzu gut nachvollziehen kann. Ja Schwester, ich kann deine Liebe fühlen.
Wir hatten auch Augen für die anderen Hunde, so ist das nicht, aber nach zwei Tagen saß Alma beim Abschied auf unserer Rückbank und wir konnten es kaum glauben: Das ist unser Hund!!
Die erste Woche waren Marcel und Alma allein hier, da ich mit einer Yogagruppe im Kloster war.
Das heimkommen war eine Mischung aus Freude und Angst: Wird sie mich wiedererkennen? Wird sie mich mögen, oder hat sie sich schon voll an Marcel gehängt und wir steuern in ein Eifersuchtsdrama?
Es zeigte sich das erste „viel Alma“ bei der Begrüßung im Garten: nach kurzem Knurren und Meckern in Richtung des Taxifahrers und meines Koffers erkannte sie meine Stimme und brach in ein Freudengejauel aus. Es wurde gesungen und getanzt, die Rute ein Propeller von dem ich heute noch blaue Flecken habe und all meine Angst war weg gewischt: das Rudel ist wieder vereint.
Marcel und Alma hatten sich also schon eine Woche lang zusammengerauft und bereits geklärt wie die Verhältnisse im Rudel so stehen. Alma liebt ihn abgöttisch (wenn wir vom Gassi heim kommen rennt sie grinsend durch den Garten zur Hintertür und sucht Marcel – die Enttäuschung wenn er nicht da ist, ist herzerweichend!) und Marcel gibt ihr das, was er auch mir gibt: Ruhe und Stabilität.
Wir zwei Mädels allerdings hatten da noch was zu klären. Wer von uns beiden darf im Bett schlafen? Wer von uns beiden bestimmt die Zeiten wann was passiert – und wie schnell?
Da passte es ja ganz gut (oder auch nicht, wer weiß wie es anders gewesen wäre) dass Marcel direkt am Tag nach meiner Rückkehr auf die Insel musste. Vier Tage Alma und ich allein zuhaus.
Die Tierärztin bei der ich die Hundeführerscheinprüfung machte drückte es so aus: Wenn ein erwachsener Hund (Alma ist dreieinhalb) ins Haus kommt, dann wird jeden Tag eine Liste mit 100 Punkten neu geprüft und geklärt. Und es ist erstaunlich, wie klein die Erfolge sind, aber man muss sie sich merken und summieren, sonst wird man verzweifeln.
Wie recht sie doch hat.
Ich will das nicht zu weit ausführen, aber heute ist Tag 16 und von 1600 Fragen haben wir gefühlt 900 in gegenseitigem Einvernehmen beantwortet. Und 300 davon fluppten in den letzten 24 Stunden – endlich.
Alma ist eine ganze Menge: So begann mein Beitrag. Eine ganze Menge Liebe, Intelligenz, Misstrauen, Zweifel, Kondition, Kraft, Freude. Ich könnte die Liste endlos weiterführen.
Am Freitag morgen beim Gassi bin ich in Tränen ausgebrochen weil die Blutergüsse unter den Schwielen an meinen Fingern so weh taten und sie einfach nicht aufhören wollte mich von A nach B zu zerren. Und ich dachte immer nur: Das ist nicht das, was ich wollte! Die Aussicht auf vier weitere Tage allein (Marcel muss arbeiten) mit einer 29 kilo schweren Hündin mitten in der Hitze (jipp, auch das blieb uns nicht erspart gleich zu Beginn) und Gassirunden die einfach nur Spießrutenlauf sind machte mich fertig.
Wir sind noch nicht so richtig hinter das Muster gekommen, aber es gibt Situationen die Alma überhaupt nicht leiden kann. Und Alma ist auch dann eine Menge: LAUT! Angriff ist die beste Verteidigung, also wird lautstark gepöbelt und vorwärts geschossen. Katzen, manche Hunde (andere überhaupt nicht), Menschen die sich beim Reden nach vorne beugen, (manche) Kinder auf Fahrrädern.
Und wir leben nun mal in einem Wohngebiet. Hier gibt es genau das.
Zuerst hatten wir sie am Halsband weil sie das Geschirr nicht ausstehen kann, aber da hatten wir tatsächlich Angst dass sie sich entweder selbst stranguliert oder den Hals bricht bei so einer Aktion. Nun muss sie halt an jedem Zaun lang schrubben (was irgendwie sehr lustig aussieht) und auf ihr Geschirr klar kommen.
Meine Gefühle am Freitag vormittag fuhren Achterbahn und es ergaben sich Gespräche mit meiner Mutter, Anna und Agnes.
Alle drei versuchten mir Mut zu machen, boten Hilfe an und stellten die Frage legitimiert in den Raum: Seid ihr sicher dass dies euer Hund ist?
Denn ich hatte die Frage bisher verboten. Mir selbst in Gedanken ganz strikt und gegenüber Marcel habe ich sie als „unfragbar“ unterbunden.
Schließlich hat Alma das schon einmal erlebt. Sie ist eine „Retoure“, weil ihre erste Besitzerin mit ihr nicht klar kam. Wir dürfen ihr das nicht nochmal antun.
Mein Kopf war voll mit Fragen und Verzweiflung, Marcel noch in der Schicht und nicht erreichbar und als es an der Tür klingelte war Alma natürlich voll auf Zinne. Ich schaffte es, sie mehrfach zurück auf ihre Decke zu schicken und Agnes rein zu lassen ohne das der Hund sie auseinander nahm (was für eine Angst sich dann auch auftürmt!) und als wir uns alle beruhigt hatten liefen bei mir die Tränen und Alma kam ganz klein und vorsichtig in den Flur gerutscht um sich bei Agnes anzulehnen und die Frage zu stellen die hinter all ihrem Gepöbel wartet: Bist du nett? Kannst du mich lieb haben?
Es klopfte schon da in meinem Kopf und die Frage hatten Anna und Mami kurz vorher auch schon gestellt: Was spiegelt sie dir?
Und so langsam finde ich Antworten. Eine Menge. 🙂
Agnes brachte einen Plan und Entspannung rein in die Situation. Sie ließ uns ihr Auto übers Wochenende hier, sagte dass Hunde auch mal nach dem Aufstehen in den Garten machen dürfen und ich in der Zeit meine lieb gewonnene Gewohnheit mit dem ersten Kaffee draußen auf der Bank wieder aufnehmen soll. Und dann packe ich sie halt ins Auto und fahre an den Waldrand. Da, wo ich sie gleich nach dem aussteigen an die Schleppleine hängen kann (denn an der läuft sie sehr gut, im Gegensatz zur „Bürgersteig-Leine“) und wir beide einfach mal entspannte und ruhige Spaziergänge gemeinsam erleben können. Raus aus der Spirale, in der es immer schlimmer wird mit jedem Gang aus dem Gartentor.
Und ja, das haben wir getan. Hatten wundervolle Erlebnisse, die ganz sicher auch unsere Bindung gestärkt haben.
Ich habe ein paar Dinge erkannt in den letzten beiden Tagen.
Die Frage: Was spiegelt sie dir? Ist nicht so einfach zu beantworten, weil auch hier eine Menge auf den Tisch kommt.
Mehr und mehr fühlt es sich aber so an: Alma verhält sich so wie ich mich in der Vergangenheit immer wieder verhalten habe. Und das triggert mich, macht mich gleichzeitig traurig und agressiv. Weil sie so verzweifelt auf der Suche nach Bestätigung und Liebe ist. So anhänglich ist, so oft fragt ob ihr Verhalten denn richtig ist und so laut ihre Verzweiflung, Angst und Wut herausbellt.
Ein Verhalten, das ich so gut kenne. Von mir selbst, immer dann wenn es ernst wurde mit meinen Gefühlen. Weil ich versucht habe, von außen die Bestätigung zu bekommen die innen so voller Zweifel war.
Keine Ahnung, ob man die Gefühle eines Hundes so vermenschlichen kann. Aber wenn sie sich so fühlt, dann ist sie bei uns wirklich genau richtig. Die kleine Seele.
In unserem kleinen Rudel in dem jemand ist, die aus Erfahrung vorleben kann dass Liebe und Sicherheit in uns selbst wachsen. Und einer, der Liebe und Sicherheit gibt, falls es innen doch mal unsicher ist.
Was ich schon heraus gefunden habe: Mantras bringen sie genau so gut runter wie mich. 😀
Wenn die kleine Fee also nicht so richtig entspannen kann, dann mache ich eine Yoga Playlist an und wir kommen gemeinsam zurück in unsere Mitte.
Und eins scheint klar. Dieser Blog wird von nun an nicht mehr nur Yoga oder Reisen enthalten… Doggie Content für alle!