Tag 4

…son proletarischer Spruch, den ich bisher immer ätzend fand und nie verstand. 

Gestern war der Tag, von dem ich dachte es würde dieses oder jenes passieren.. und nix passierte so wie ich dachte. 

Ich dachte Freitag noch, dass ich mich am Samstag bestimmt keinen Meter bewegen könnte, und auch ganz sicher nicht weiter als maximal bis Ore (ca 500m) spazieren würde um nach einem kleinem Supermarkt zu schauen. Denn ich dachte ja auch, wenn ein Dorf eine Kirche und eine Post hat, gibts da bestimmt noch mehr Infrastruktur. 

Es ging mir erstaunlich gut, nach dem zweiten mal Treppe raufrunter ließen sich meine Knie und Fußgelenke wieder beugen und strecken und ich hatte keine befürchteten Druckstellen von den Schultergurten. Obs die Arnikasalbe war?

Und hungrig war ich auch. Also bin ich wieder mal in die Wanderstiefel und los. 

In Ore gabs natürlich nüschte. Nur einen mobilen Schlachter, bei dem mich aber so gar nichts anlachte. Also mal google maps gefragt. Der nächste Supermarkt 6km weg. Pah, das mach ich ja jetzt mit links! 

Ich war relativ früh unterwegs, der Himmel war zwar klar, aber der Hinweg war echt machbar mit der Sonne. 

Rein in den Super U und eingekauft. 

Ich dachte, ich brauche ja nicht viel. 

Aber hungrig und ohne Plan für vier Tage einkaufen ist nicht klug. 

Am Ende war der Rucksack bis oben voll und mindestens 15kilo schwer. 

Ich holte mir einen Milchkaffee, öffnete die Croissants (hmmm, DAS können die wirklich!!!) und setzte mich erstmal mit meiner Wanderapp in den Schatten. 

Dann dachte ich, ach guck mal, die Garonne (der Fluss) ist ja gar nicht weit, dann laufe ich da jetzt hin, such mir ein schattiges Plätzchen für meine Hängematte und verbringe da die Siesta. Über den Rückweg mit dem schweren Rucksack kann dann ja die Zukunftskatja nachdenken. 

Halbes Stündchen später die erste Berührung mit dem Wasser: eine Brücke, neben der es rechts und links 3m steil runter ging. Irgendwie nicht das richtige für meine Hängematte. 

Also dachte ich, da wird schon noch was nettes kommen, und lief weiter. 

Bei ca 30grad in der Mittagssonne mit 15kilo Zusatzgewicht… naja, man kann ja nicht immer nur kluge Dinge tun. 

Ich bog in jeden Feldweg und jeden Pfad ein, aber die Garonne scheint es den Menschen nicht leicht machen zu wollen. Überall extrem steile Uferböschungen, riesige Steine mit scharfen Kanten und auch wenn es von weitem so aussah, eigentlich keine Möglichkeit Verletzungsfrei ins Wasser zu kommen. Und erst recht keine Bäume für die Hängematte. 

Irgendwann biss die Sonne so sehr dass auch nachschmieren nichts gebracht hätte. Und überhaupt hatte ich auch keinen Bock mehr noch weiter an diesem Fluss lang zu laufen und der Rucksack war so verdammt schwer!

Also suchte ich mir ein schattiges Plätzchen an der Landstraße… und hielt den Daumen raus. Was ich dachte, mich niemals zu trauen!

Irgendwann hielt einer an, auf meine Frage ob er Richtung Ore (gibt auf dieser Landstraße keine andere Möglichkeit, außer er hält vorher an) nickte er, sagte etwas das ich nicht so richtig verstand und fuhr los. 

Was einer Frau (jedenfalls mir) beim trampen so durch den Kopf geht: was mache ich, wenn der einfach weiterfährt? Was mache ich, wenn der mich anpackt? 

Nun, ich hatte einen 15kilo schweren Schutzschild auf dem Schoß. Und dieser Mann sah so harmlos aus, ich glaube ich hatte breitere Schultern als er. Und das Auto war klein, ein uralter Peugeot. Keine Zentralverriegelung, ich könnte also jederzeit die Tür aufreißen und mich rausfallen lassen. Der Rucksack hätte sicher einiges abgefangen. Ging also, wird aber ganz sicher nicht mein bevorzugtes Verkehrsmittel. 

An der Ausfahrt nach Ore setzte der nette, harmlose Mann den Blinker. Fragte, in welche Richtung ich denn wollte, Lourde, okay, und fuhr weiter. 

Als ich ihm 100m vor der Straße zum Haus sagte er sollte mich hier bitte raus lassen, grinste mir, wünschte mir eine bonne vacance und wendete. Der war tatsächlich nur für mich von der Bundesstraße runter gefahren!

Den Nachmittag verbrachte ich mit lesen und meiner weiteren Reiseplanung, aß Abends lecker auf meiner Terrasse, öffnete eine der beiden Roséflaschen mit denen ich mich so abgeschleppt hatte und dachte, ich würde früh ins Bett gehen. 

Pustekuchen, Kopf wach, Kühlschrank macht Geräusche, irgendwo war laute Musik. 

Und nun das schönste „ich dachte“, was ich gestern widerlegt habe: 

Ich dachte immer, diese Faszination Berge nicht zu verstehen. Aber jetzt weiß ich was es ist. Dieser Blick in den Himmel… um mich herum die riesigen Schatten der Berge und darüber ein Sternenzelt das ich nie, nie für möglich gehalten hätte. Millionen funkelnder, glitzernder Sterne, Sternschnuppen, dazu das Konzert der Grillen und Nachtvögel. Kein Straßenlärm, keine Lichtverschmutzung aus der nächsten Stadt. 

Ich liege unterm Sternenzelt und fürchte nicht den Lauf der Welt.

Keine Ahnung woher, ich glaube aus Game of Thrones.. aber plötzlich verstand ich. 

Wie schon in Schottland am Atlantik, fühlte ich mich auch hier so klein, so unbedeutend im Vergleich zur mächtigen Natur. Aber auf eine gute Art. Denn so klein wie ich, sind dann auch meine Sorgen und Ängste. 

In dem Moment hätte ich dieses Gefühl gern geteilt. Aber das habe ich ja hier jetzt getan.. und ansonsten bleibt es so, wie ich vorher nicht dachte dass es sein würde: ich bin zufrieden mit mir selbst allein zu sein. 


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